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Nu geiht de Gill-Tied wedder los!

Für die Bramstedter Fleckensgilde ist Pfingsten die Gilde-"Hochzeit".

Unter dem kritischen Blick von Anja Wagner sucht Ehemann Rolf für den Jüngsten der Fleckensgilde, Thorsten Ehlers, bequeme Schuhe aus, damit er die Gildezeit ohne Blasen an den Füßen gut übersteht. Foto: Straehler-Pohl

Am Dienstag nach Pfingsten, 7. Juni, lädt die Fleckensgilde gegen 20.30 Uhr traditionell zum Tanz um den Roland ein. Foto: Archiv

Seit 2019 ist Andreas Seller (re.) – hier mit Gildemeister Ansgar Schroedter – nun schon Öllermann der Fleckensgilde. Foto: Dibbern

Der Vorstand der Fleckensgilde mit Bürgervorsteherin Annegret Mißfeldt und Bürgermeisterin Verena Jeske 2019 vor dem Roland. Foto: Dibbern

Bad Bramstedt (usp) – Als Thorsten Ehlers im Jahr 2019 das Amt des Jüngsten in der Bramstedter Fleckensgilde von 1560 übergeben wurde, ahnte er noch nicht, dass er es länger bekleiden würde als alle seine Vorgänger. Doch ausgeübt hat er es, bedingt durch Corona, bisher noch nicht. Und so hat er auch erst in diesem Jahr – in originellem Outfit – die obligate Schuhspende erhalten, die ihm in diesem Amt zusteht. Seit 1981 erhält der Jüngste nämlich ein Paar schwarze Halbschuhe. Diese sind passend „to de groote Kledage“ einschließlich Handstock und Zylinder dafür gedacht, dass er seine vielen Aufgaben als „Tüffel“, der erst noch angelernt werden muss, unbeschadet übersteht. Eingeführt wurde dieser Brauch vom damaligen Eigentümer des Schuhgeschäftes Möck, Otto Möck. Tochter Ingrid Möck setzte die Tradition fort, genauso wie ihr Nachfolger Thomas Forck, als er das Geschäft übernahm.

Doch was tun, als Forck das Geschäft im Mai 2020 aufgab? Zum Glück gibt es ja noch das Schuhhaus Wagner, dessen Inhaber Rolf Wagner auch Mitglied der Fleckensgilde ist. Angesprochen von Gildemeister Ansgar Schroedter, ließ der sich nicht lange bitten. „Ik heff mi bannig freut, as Ansgar mi anschnackt hett“, begrüßte Rolf Wagner seine Gäste während der Schuhspende in seinem Laden am Kirchenbleeck 1. Und Vater „Kalli“ begründet die Übernahme der Tradition: „Dat wär ik mienem alten Lehrmeister schuldig.“
Nun kann die fünfte Jahreszeit der Fleckensgilde im wahrsten Wortsinn losgehen. Denn gelaufen wird recht viel, weil am Dienstag nach Pfingsten die Gildemitglieder durch die Innenstadt Richtung Landweg ziehen, um am Weg liegende Geschäfte und Mitglieder aufzusuchen, sie mit einem fröhlichen „De Gill schall leven!“ und einem Gildegeist zu begrüßen. Und dabei ist der Jüngste stark gefordert, genau wie beim öffentlichen Gildeball am Abend: Er muss in dem von ihm geschmückten Kaisersaal den Gildegeist ausschenken und unter normalen, coronafreien Umständen den Frauen dabei einen Kuss auf die Wange geben.

Am Pfingstsonntag, 5. Juni, um 10 Uhr starten die Mitglieder der Gilde mit einem gemeinsamen Festgottesdienst in der Maria-Magdalenen-Kirche. Am darauffolgenden Pfingstmontag, 6. Juni, muss der Jüngste gegen 8.15 Uhr mit einem originellen Gefährt vor dem Kaisersaal vorfahren. Danach beginnt der Inspektionsgang durch die Stadt. Am Pfingstdienstag, 7. Juni, 8 Uhr, übernimmt die Gilde für einen Tag die Regentschaft in der Stadt.  Dazu übergibt Bürgermeisterin Verena Jeske im Schloss den Stadtschlüssel an den amtierenden Öllermann Andreas Seller. Außerdem wird die Bürgermeisterin per Gildebefehl beauftragt, einen Missstand in der Stadt abzustellen. Wie sie gedenkt dies zu erledigen, muss sie abends beim öffentlichen Gildeball, der um 20 Uhr  im Kaisersaal beginnt, verkünden, möglichst natürlich auf Plattdeutsch. Davor steht gegen 20.30 Uhr noch der traditionelle Tanz um den Roland an, zu dem sich alljährlich auch viele Bürgerinnen und Bürger einfinden.
Höhepunkt während des Gildeballs ist die Proklamation des neuen Jüngsten. Die Feierlichkeiten sind darauf zurückzuführen, dass der Fleckensvorsteher Jürgen Fuhlendorf es am Ende des 17. Jahrhunderts geschafft hat, den Flecken vor der Leibeigenschaft des Baron von Kielmannsegg zu bewahren. Die einmalige Solidargemeinschaft der 69 Haushalte brachte 14.000 Taler, auf heutige Zeit umgerechnet rund 2,1 Millionen Euro, auf. Damit wurden die Pfandbriefe, die der dänische König und gleichzeitige Herzog von Holstein, Friederich III., aufgrund eigener Verschuldung dem Baron von Kielmannsegg überlassen musste, zurückgekauft.

„Das Motto „Einer für alle – alle für einen“ hat heute wie damals Bestand – und der brandaktuelle Blick nach Osten macht dies mehr als deutlich. Es war und ist der ‚Kitt‘, der den Zusammenhalt einer Gesellschaft ausmacht“, zieht Gillschriewer Dr. Martin Wisy einen Bogen in die heutige Zeit. „Gerade die direkten Unwägbarkeiten einer nahen Zukunft, die Einflüsse durch sich ändernde globale Randbedingungen, durch Wanderung und Migration bedrängter Bevölkerungsgruppen wie auch die beginnende Verdriftung in eine virtuelle Welt rückt das direkte Miteinander der Menschen mehr und mehr in den Fokus der Notwendigkeit. Das direkte Miteinander bedingt Toleranz und gegenseitige Hilfe wo auch immer diese benötigt wird. Und hier schließt sich der Kreis: Auch im ausgehenden 17. Jahrhundert war diese Hilfe notwendig und hat am Ende den Bürgern Bad Bramstedts die Freiheit erhalten.“



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