„Unsere Seelen haben großen Schaden genommen“

Unermüdliche Hilfe für die Erdbebenopfer in Marokko

Schnell hat Judith Haugk den Entschluss gefasst, den Erdbebenopfern in Marokko zu helfen. Sie selbst lebt mit ihrem Mann in der Stadt Marrakesch. Über Plattform „GoFundMe“ sammelt sie finanzielle Spenden, um Wasser, Lebensmittel und vieles mehr für die Opfer zu besorgen und an Ort und Stelle zu bringen. Fotos: Haugk

„Das Dorf Azgour war von den Erdbeben besonders stark betroffen. Wir sind auch dorthin gefahren, um zu helfen. Die Menschen haben dort ihre Wohnräume direkt neben den Tierställen. An einer Stelle sind wir ausgestiegen und da kam uns schon der Verwesungsgeruch entgegen. Da lagen tote Ziegen und Schafe, die von Felsbrocken erschlagen wurden. Ob noch Menschen unter den Trümmern lagen, konnten wir nicht feststellen. Das sind alles bedrückende Bilder, die einem im Kopf bleiben. Ich bin mir sicher, dass unsere Seelen durch die Katastrophe Schaden genommen haben. Durch unseren Einsatz sind wir jedoch noch nicht zur Ruhe gekommen und konnten das Geschehene noch nicht verarbeiten. Vergangen Donnerstag gab es noch ein Nachbeben und sofort war die Angst vom 8. September wieder da“, berichtet Judith Haugk.

Neumünster / Marrakesch (rjs) –  Vor einer Woche wurde das Land Marokko Opfer eines verheerenden Erdbebens. Fast 3.000 Tote wurden von der Regierung offiziell bestätigt. Getroffen wurde vor allem die Region rund um die Stadt Marrakesch. Die gebürtige Neumünsteranerin Judith Haugk erlebte das Unglück vor Ort.
„Vor drei Jahren habe ich mich entschieden, nach Marrakesch auszuwandern. Ich bin als Urlauberin aus dem Flugzeug gestiegen und habe gleich diesen besonderen Geruch, die Atmosphäre und auch die Gastfreundschaft der Marokkaner gespürt. Das hat mich so fasziniert, dass ich mich gleich wie zu Hause gefühlt habe“, erzählt die Auswanderin. Als Deutschlehrerin hat sie sich ihre Existenz aufgebaut und unterrichtet junge Erwachsene, die in Deutschland arbeiten und studieren möchten.
Als das Erdbeben in der Nacht des 8. Septembers die Region erschütterte, war Judith Haugk mit ihrem Mann Ayoub Elguant unterwegs. „Wir haben ein gemeinsames abendliches Ritual, bei dem wir an einer bestimmten Stelle Straßenhunde und -katzen füttern. Als wir mit dem Auto nach Hause kamen, bin ich mit dem Schlüssel in der Hand aus dem Auto gestiegen, und mein Mann blieb noch eine kurze Weile sitzen. Plötzlich gab es dieses furchtbare Geräusch. Es war wie ein lautes Grollen, das von unterhalb der Erde kam, als ob sich die Erde auftun würde. Alles begann sich zu drehen, zu schwanken und sich zu bewegen. Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass ich die ganze Zeit den Namen meines Mannes gerufen habe. Er ist aus dem Auto gesprungen und hat mich vom Haus auf die Straßenmitte gerissen. Kurze Zeit später sind alle Nachbarn weinend und schreiend  aus den Häusern auf die Straße gelaufen, und dann wurde es durch den Ausfall der Elektrizität dunkel. In unserem Viertel hatten wir großes Glück, da die Gebäude alle sehr robust und erdbebenfest gebaut sind. Dennoch machte sich Panik breit, da wir durch den Zusammenbruch der Elektrizität mit niemanden telefonieren konnte, um zu erfahren, wie es der restlichen Familie geht“, berichtet Judith Haugk. Bereits am nächsten Tag wurde das Ausmaß der Katastrophe sehr deutlich. „Wenn das Internet funktionierte, schicken sich die Menschen die ersten Videos und Bilder zu, um über ihre Situation zu berichten“, so Haugk. Schnell entschied sich das Ehepaar, den Menschen, die hart vom Beben getroffen worden sind, zu helfen. „Über die Spendenplattform ‚GoFoundMe‘ haben wir aufgerufen, Geld zu senden, damit wir Hilfsgüter einkaufen konnten. In den ersten beiden Tagen wurden vor allem Wasser, Brot, Hygieneartikel und Konserven benötigt. Später haben wir auch Kleidung, Decken, Zelte, Medizin, Babykleidung und vieles mehr verteilt. Das Hauptbeben ereignete sich gegen  23.10 Uhr. Viele Menschen waren zu dieser Zeit zu Hause und haben zusammen den Tag ausklingen lassen oder haben bereits geschlafen, so dass sie nur einen Pyjama am Leib hatten, als sie sich aus den Häusern gerettet haben. Auch in den folgenden Tagen trugen sie nichts anderes, da sie nicht mehr in die Gebäude konnten oder sich auch nicht mehr reintrauten, da es immer wieder zu Nachbeben kam“, so Haugk. Das Team bestehend aus insgesamt vier Helfern ist in die Dörfer südlich von Marrakesch gefahren. „Ich habe in der Stadt eine Freundin, die aus Köln kommt. Sie hat zeitgleich eine ähnliche Hilfsaktion gestartet. Wir sprachen uns ab, so dass sie mit ihrem Team in die westlichen Regionen gefahren ist“, fügt sie ergänzend hinzu. „Es ist herzzerreißend, wie die Menschen einem entgegenkommen. Obwohl diese gerade alles verloren haben, empfangen sie einem mit Tee, möchten noch etwas zu Essen anbieten, obwohl ihnen nicht mehr viel übrig geblieben ist. Diese Gastfreundschaft und Liebe ist etwas, dass die Marokkaner auszeichnet“, sagt Haugk.
Für internationale Diskussionen sorgt die Entscheidung Marokkos, Hilfsangebote von nur vier Ländern anzunehmen. Zu diesen zählen Spanien, Großbritannien, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate. „Diese Entscheidung ist natürlich eine zweischneidige Sache. Ich kann zu einem gewissen Grad die Regierung verstehen, da gerade zu Beginn sehr viel Chaos herrschte. Viele Dörfer sind von der Infrastruktur abgeschnitten, und es ist schwierig dort vorzudringen, so dass die Emirate für Luftbrücken gesorgt haben, um die Menschen dort so zu versorgen. Zudem sind viele Straßen zerstört, wenn nicht gar dem Erdboden gleichgemacht. Auf den Straßen, die noch vorhanden sind, fahren LKW vom Militär, der Regierung und privaten Verbänden. Ich hoffe aber sehr, dass wenn die Infrastruktur wieder einigermaßen funktioniert sich andere Länder am Wiederaufbau beteiligen dürfen“, sagt Judith Haugk.
Eines ist ihr noch besonders wichtig: „Ich hoffe, dass nach der Bewältigung dieser Katastrophe wieder viele Menschen nach Marrakesch kommen, um diesen wunderbaren Ort kennenzulernen. Dieses Gebiet ist sicher und kennt eigentlich keine Erdbeben. Die Menschen hier sind auf den Tourismus angewiesen und öffnen den internationalen Gästen ihre Türen und heißen sie willkommen. Es wäre schade, wenn sich dieses nun ändert und die Gäste ausbleiben.
Judith Haugk und ihr Mann Ayoub Elguant sind weiterhin im unermüdlichen Einsatz, um den Überlebenden zu helfen. Unter www.gofundme.com/f/earthquake-in-morocco-help-the-people  (siehe auch den QR-Code) können weiterhin Spenden getätigt werden. Über ihre Hilfsaktion informiert die gebürtige Neumünsteranerin auch in ihren Instagram-Stories, die sie auf der Plattform unter  @palmtrees.and.jewels postet.  https://www.instagram.com/palmtrees.and.jewels/ 

 

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