Neumünster (pm) - Wer heutzutage einen Blick unter die große Sternwartenkuppel der vhs-Sternwarte Neumünster wirft, ist meist überrascht. Dort ragt ein beeindruckender Gigant aus Stahl fast vier Meter in die Höhe. Das Riesenteleskop mit dem Namen „DINO“ ermöglich Neumünsteraner Amateurastronomen seit 13 Jahren einen beeindruckenden Blick in die unendlichen Weiten des Alls. Eingeweiht wurde es jedoch vor genau 50 Jahren an der Sternwarte Lübeck.
Egal ob Mondkrater, Saturnringe, Jupitermonde oder auch planetarische Nebel, Supernovaüberreste sowie Staubbänder in fernen Galaxien: Für das Riesenteleskop der vhs-Sternwarte Neumünster ist das alles kein Problem. Mit einem Spiegeldurchmesser von 48cm und einer Brennweite von 2 Metern gehört es auch heute noch zu den leistungsstärksten Fernrohren Schleswig-Holsteins. Über viele Jahre galt es sogar als das größte Fernrohr des Landes. Dieser Tage freuen sich die Amateurastronomen der Sternwarten Lübeck und Neumünster über den 50. Geburtstag dieses „Altmetalls“ mit dem Gewicht eines Kleinwagens. Aber woher stammt dieses Gerät zur Erkundung des Alls eigentlich und wie kam es von der Stadt an der Trave in die Stadt an der Schwale?
Die Geschichte des DINOs begann bereits Ende der 1960er Jahre an der Sternwarte Lübeck. Unter der Sternwartenkuppel der Kepler-Schule war ein leistungsfähiges Spiegelteleskop der Hamburger Firma Butenschön installiert. Prof. Dr. Peter Baron von der Osten-Sacken, der damalige Leiter der Sternwarte Lübeck und leidenschaftlicher Astronom, war jedoch unzufrieden mit der Qualität der Mechanik. Für anspruchsvolle wissenschaftliche Beobachtungen und astrometrische Messungen war diese schlicht zu ungenau. Der Ruf nach der Installation eines modernen, vielseitig einsetzbaren Instruments wurde immer lauter. Anfang der 1970er Jahre, als in Neumünster gerade die größte Sternwarte Schleswig-Holsteins aufgebaut wurde, fiel die Entscheidung. Mithilfe der Volkshochschule Lübeck, zu der die Lübecker Sternwarte damals gehörte, sollte nun ein neues Spiegelteleskop mit knapp einem halben Meter Durchmesser (Öffnung: 19“, f/4,2) auf einer stabilen Mechanik beschafft werden. Dafür nahm die Stadt Lübeck rund 100 000 DM in die Hand. Das Stuttgarter Unternehmen Wachter benötigte rund drei Jahre für die Herstellung und Installation des Spiegelteleskops. Die Spiegeloptik stammte von der Firma Lichtenknecker. Dieses System hat Wachter nur drei Mal produziert. Ein weiteres Teleskop dieser Baureihe steht u.a. in der Sternwarte der türkischen Stadt Izmir.
Eingeweiht wurde das neue Hauptfernrohr der Lübecker Sternwarte am 26. November 1974. Durch die besondere Bauweise als Newton-Cassegrain-Optik war es den Amateurforschern sogar möglich, das Teleskop wahlweise mit zwei oder mit sechs Metern Brennweite zu betreiben. Hierzu musste lediglich der Fangspiegel ausgetauscht werden. Als Newton mit zwei Metern Brennweite wurde das gebündelte Licht seitlich durch den Okularauszug ausgeworfen. Mithilfe eines anderen Fangspiegels wurde das gebündelte Licht zurück in Richtung Hauptspiegel reflektiert und konnte durch ein zentrales Loch betrachtet werden. Dies erwies sich als besonders hilfreich bei der Messung von Sternhelligkeiten oder der Betrachtung von Doppelsternen.
Das neue Lübecker Großteleskop setzte Maßstäbe. Und auch wenn das Gerät dank der Pflege der Lübecker Sternfreunde immer wieder instandgesetzt und modernisiert wurde, so entwickelte sich die Teleskoptechnik im Laufe der Jahrzehnte doch enorm weiter. Als die Possehl- und die Drägerstiftungen dem Arbeitskreis Sternfreunde Lübeck e.V., dem neuen Trägerverein der Sternwarte Lübeck, Mittel für ein neues Teleskopsystem bewilligten, musste man sich auch Gedanken über den Verbleib des liebgewonnen „Altmetalls“ machen. Eine Verschrottung käme für ein so hochwertiges Teleskop nicht in Frage. Bei guter Pflege könnte es auch in Jahrzehnten noch spannende Blicke ins All ermöglichen. Zudem hatten im Laufe der Zeit tausende Lübecker die Gelegenheit, einen Blick durch das Spiegelteleskop zu werfen und haben es auf diese Weise schätzen gelernt.
So erhielt der Neumünsteraner Sternwartenleiter Marco Ludwig im Sommer 2010 einen Anruf aus Lübeck. Torsten Lohf überraschte ihn mit den Worten: „Eure Kuppel passt perfekt zu unserem Teleskop!“. Zu dem Zeitpunkt befand sich unter der Neumünsteraner Sternwartenkuppel das 1971 eingeweihte Spiegelteleskop mit einem Durchmesser von nur 25cm. Anders als das Lübecker Gerät war das Neumünsteraner Teleskop schwer in die Jahre gekommen und kaum noch betriebsfähig. Das alte Lübecker Teleskop wäre für Neumünster ein technologischer Quantensprung.
Kosten sollte das Lübecker Fernrohr 5.000 Euro - ein echter Freundschaftspreis. Allerdings hatte der erst 2009 gegründete Förderverein Sternwarte Neumünster e.V. gerade erst für die Renovierung des alten Seminarraums gesorgt und entsprechend keine Rücklagen mehr. Auch die Volkshochschule hatte mangels leerer Stadtkassen abgewunken.
In Neumünster war man sich jedoch einig: Dieses Teleskop würde perfekt in die große Sternwartenkuppel passen und könnte künftig viele Neumünsteraner für die Astronomie begeistern. Und so gab es nur wenige Wochen nach dem Anruf aus Lübeck einen weiteren historischen Anruf bei Sternwartenleiter Ludwig: Ein anonymer Spender hatte die erforderliche Summe an den Förderverein überwiesen.
Hochmotiviert machte man sich in Neumünster ans Werk. Zunächst holte ein Konvoi aus mehreren PKW mit Anhängern die bis zu 200kg schweren Einzelteile des Teleskops und der Montierung nach Neumünster. Anschließend wurde die Sternwartenkuppel entkernt und mit viel ehrenamtlichem Engagement neu ausgestattet. Dabei investierte das Team der vhs-Sternwarte mehr als 1000 ehrenamtliche Arbeitsstunden. Auch zahlreiche Neumünsteraner Firmen, wie die Volker Thullesen GmbH, Zander Metallbau oder der Baustoffhandel C.J. Wigger u.v.a. unterstützten mit Baumaterial. Gemeinsam mit den Lübecker Sternfreunden wurden die Einzelteile wieder zu einem funktionierenden Teleskop zusammengebaut.
Bei der "Einnordung" des Teleskops, d. h. bei der genauen Ausrichtung der Stundenachse parallel zur Erdachse, wurde eine vollkommen neue Methode angewandt, die erst kurz vorher in Neumünster entwickelt worden war. Sie ist inzwischen als "Einnorden mit Excel" oder als "Lüthen-Kahlhöfer-Methode" international bekannt. Die dazu erforderliche Excel-Tabelle und eine genaue Anleitung steht auf der Internetseite der vhs-Sternwarte zur Verfügung.
Nach einem Neuanstrich für Kuppel und Teleskop bauten die ehrenamtlichen Sternkieker in letzter Minute noch einen Fußboden ein, damit am 5. November 2011, rechtzeitig zum 40. Geburtstag der vhs-Sternwarte, die Einweihung des neuen alten Teleskops gefeiert werden konnte.
Seither haben tausende Besucher einen Blick auf und in manchen Fällen auch durch den „DINO“ werfen dürfen. Erst kürzlich hat der Chefelektriker der Sternkieker die Elektronik so modernisiert, dass jetzt auch Astrokameras der neuesten Generation direkt am Teleskop angeschlossen werden können. Geht es nach den Neumünsteraner Astronomen könnte dieses Fernrohr noch mindestens weitere 50 Jahre das All erkunden.
Und woher der Name DINO kommt, ist auch schnell erzählt: Nach der Anfrage der Lübecker Sternwarte hatte Sternwartenleiter Ludwig beim renommierten Hamburger Astronomen Hartwig Lüthen um eine Beurteilung des Lübecker Teleskops gebeten. Dieser bezeichnete das Teleskop als „Dinosaurierfernrohr“ und empfahl den Neukauf vergleichbarer Technologie. Da man in Neumünster jedoch keine 100 000 Euro für ein solches Projekt hatte, freut man sich noch heute über diesen DINO, der nicht ausgestorben ist. Offiziell steht die Abkürzung jedoch für „Deepsky Instrument of the Neumünster Observatory“.
Von Marco A. Ludwig